Ein großer Vorlesungssaal bei dem etwa jeder zweite Platz besetzt ist. Vorne steht Professor Niggli.

ÖkoProg bei der Frühlingsakademie Nachhaltigkeit in Karlsruhe

Das Öko-Progressive Netzwerk wurde zur Frühlingsakademie Nachhaltigkeit im Audimax des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) eingeladen, um dort seine Ziele und Aktivitäten vorzustellen. Ausgerichtet wurde diese Veranstaltung vom ZAK, dem Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale. Mit der Veranstaltung am 27.03.2023 sollte eine ganze Projektwoche zum Thema Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft eröffnet werden. Hier berichtet Sophia, die uns dort vertreten hat, über die Veranstaltung, alte und neue Ideen zum Ökolandbau, neue Methoden der Pflanzenzüchtung und die Reaktionen von Besuchenden auf unsere Arbeit.

Hintergrund

Zur Impulsveranstaltung der Projektwoche, dem Markt der Möglichkeiten, wurde das Team von ÖkoProg von B. A. Marielle Rüppel (Projektassistenz) eingeladen. Da die Veranstaltung in Karlsruhe stattfinden sollte, wurde ÖkoProg durch unser Mitglied Sophia Müllner vertreten. Für den Stand wurde ein Poster vorbereitet und mit Flyern der Progressiven Agrarwende, Stickern der Give Genes a Chance-Kampagne und Visitenkarten ausstaffiert.

Eröffnet wurde die Veranstaltung durch Grußworte der Vizepräsidentin für Digitalisierung und Nachhaltigkeit des KIT, Prof. Dr. Kora Kristof und Dr. Roman Luckscheiter, Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK). Zusammen mit dem dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das DUK dem KIT den Nationalen Preis „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ in der Kategorie „Lernorte“ verliehen, welcher letztes Jahr erstmalig vergeben und dem KIT auf Grund der vielfältigen nachhaltigkeitsbezogenen Bildungsangebote überreicht wurde. Mit dem verbundenen Preisgeld sollten die „Frühlingstage der Nachhaltigkeit am KIT“ erweitert werden.

Prof. Dr. Senja Post, Professorin für Wissenschaftskommunikation und wissenschaftliche Leiterin des ZAK am KIT, führte anschließend von den Grußworten zum Impulsvortrag von Prof Dr. Dr. Urs Niggli, Präsident des Instituts für Agrarökologie und langjähriger Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz.

Dabei machte sie darauf aufmerksam, dass vor allem Menschen mit „Wissensillusionen” sich vermehrt in Debatten einbrächten. Diese Debattenteilnehmer:innen verfügen häufig nur über Halbwissen, welches zu einer Verschärfung von Debatten beiträgt. Menschen mit differenzierteren Ansichten würden dadurch entmutigt, sich an diesen Diskussionsrunden zu beteiligen.

Impulsvortrag zur nachhaltigen Landwirtschaft

Um solche differenzierte Beiträge zu demonstrieren, wurde zum Impulsvortrag von Prof. Dr. Dr. Urs Niggli übergeleitet. Sein Buch „Alle Satt? Ernährung sichern für 10 Milliarden Menschen“, wurde als „agrarwissenschaftliche Entdeckungsreise“ bezeichnet.

Ein großer Vorlesungssaal bei dem etwa jeder zweite Platz besetzt ist. Vorne steht Professor Niggli.
Viele aufmerksame Zuhörer beim Vortrag des Agrarökonoms Prof. Dr. Dr. Urs Niggli im Hörsaal des KIT.

Den Einstieg gab Niggli mit dem Hinweis, dass es wichtig sei, Gemeinsamkeiten und keine Unterschiede zu suchen. Eine Verbesserung der landwirtschaftlichen Problematik hinsichtlich Boden, Wasser, Luft und Biodiversität könne nur gelingen, wenn traditionelles Wissen, bäuerliche Erfahrung und wissenschaftlich-technologische Innovation ineinander greifen und einander unterstützen würden. Aber auch und vor allem eine Bereitschaft der Konsumenten zur Verhaltensänderung sei notwendig. Allein aus gesundheitlichen Gründen wäre eine Reduktion des Fleischkonsums von 70-80 % empfehlenswert.

Die Tierhaltung hat ihre Daseinsberechtigung in vielen Bereichen, aber ein Kreislaufdenken ist anzustreben, so Niggli. Für den Menschen nicht-verwertbare Produkte wie Kleie, Presskuchen und Trester sollten einen Hauptteil der Tiernahrung ausmachen. Denn die Produktion von pflanzlichen Produkten führe zu einer deutlich geringeren CO2-Freisetzung als die tierischer Produkte. Mittlerweile gebe es, neben der klassischen vegetarischen Küche, eine Vielzahl an Fleischalternativen, die eine Reduktion des Fleischkonsums möglich machen. Dabei bleibe laut Niggli zu beachten, dass viele Dauergrünlandflächen nur von Wiederkäuern genutzt werden könnten und die Ernährung ohne die nachhaltige Nutzung von Grünland nicht möglich sei.

Große Pflanzenfresser, wie Kühe, leisten außerdem einen erheblichen Beitrag zur Biodiversität, da ihr Dung auf offener Fläche als Nahrungsgrundlage für Insekten dient, auf die wiederum Vögel und Amphibien angewiesen sind [Ergänzung Ökoprog].

Auch verweist Niggli darauf, dass gute Ideen sich normalerweise durchsetzen sollten.

Hier sei beispielhaft der Computer oder auch der Bahnverkehr erwähnt, welche sich allen Kritikern zum Trotz auch durchgesetzt haben [Ergänzung Ökoprog].

Niggli stellt daher die Frage in den Raum, wieso der Biolandbau in Deutschland nur 11 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausmache? In der EU stellt Biolandbau sogar nur unter 10 % der Fläche und weltweit sogar unter 2 %. Die Debatte um den Biolandbau, wie sie in Deutschland hinsichtlich einer Erweiterung der Anbauflächen geführt wird, spielt international also bisher so gut wie keine Rolle in der Landwirtschaft. Denn der Zielkonflikt von Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit ist bei Bio besonders groß. Die geringe Stickstoffversorgung, eine geringe Phosphor-Verfügbarkeit bei Düngern und der ungenügende Pflanzenschutz sowie die Konkurrenz durch Beikräuter führen zu geringeren Erträgen. Dabei kann es bei eigentlich ertragreichen Standorten zu Ertragsdefiziten von über 30 % kommen.

Im Folgenden kritisiert Niggli die Annahme, dass es sich bei Züchtung um einen „natürlichen“ Prozess handele. Betrachte man beispielsweise die moderne Gerste, deren Ursprungsform die Mäusegerste darstellt, so stellt man fest, dass mit der Mäusegerste ein um den Faktor 100 reduzierter Ertrag einhergeht. Bereits mit herkömmlichen Züchtungsmethoden habe man also etwas erreicht, das sehr weit vom “natürlichen” Zustand entfernt sei. Deshalb sprach sich Niggli deutlich für die Nutzung neuer Züchtungstechnologien aus: „Ein bis zwei Gene auszuschalten oder hinzuzufügen sollte nicht als unnatürlich angesehen werden. Es gibt faszinierend viele Möglichkeiten, die man alle nutzen sollte.“

Markt der Möglichkeiten

Das Poster das für die Veranstaltung erarbeitet wurde hängt auf einer Posterwand. Davor ein Tisch mit Flyern und Visitenkarten.
Stand des Öko-Progressiven Netzwerk e. V. im Audimax des KIT im Rahmen des “Forum Nachhaltigkeit” des Zentrums für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale.

Nach der anschließenden Diskussion mit vielen Fragen aus dem Publikum, wurde der Markt der Möglichkeiten eröffnet, bei dem sich viele verschiedene Projekte, Institute und NGOs vorstellten.

Neben bekannten Gruppierungen wie Foodsharing, die einiges an geretteten Lebensmitteln mitgebracht hatten und Arbeitsgruppen wie AStA KIT – AG Campusgarten/Grünes CAMPUS Büro/Urbane Gärten Karlsruhe gGmbH, gab es auch ein Poster über anthropogene Schwarzerde, welches vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) präsentiert wurde.

Die anthropogene Schwarzerde, die vielen wahrscheinlich unter Terra Preta bekannt sein dürfte, setzt sich aus anorganischen Bestandteilen (wie Gesteinsmehl, Tonscherben und Lehm), organischen Bestandteilen (wie Biomasseabfall, Mist, Pflanzenkohle) und Mikroorganismen zur Stabilisierung und Verstoffwechselung der organischen Ausgangsmaterialien, zusammen. Dies führt zu einer erhöhten Speicherfähigkeit von Wasser und Nährstoffen, einer höheren Biodiversität durch mikrobielle Vielfalt im Boden und der Speicherung von atmosphärischem Kohlenstoff. Die genauen Effekte auf die Kohlenstoffspeicherung und weitere Eigenschaften erforscht ITAS seit 2022 bis voraussichtlich 2027 im Projekt „Potenzialanalyse der Anwendung von anthropogener Schwarzerde zur Reduzierung von THG-Emissionen und weiterer positiver Effekte“.

Natürlich durfte auch CRISPR/Cas als Baustein zur nachhaltigen Landwirtschaft („Die molekulare Schere CRISPR/Cas in der nachhaltigen Landwirtschaft“) nicht fehlen und wurde durch das von Prof Dr. Holger Puchta geführte Institut Joseph Gottlieb Kölreuter Institut für Pflanzenwissenschaften (JKIP) vorgestellt. Ebenso klärten Vertreter des Max-Rubner-Instituts über die Gefahr von Mykotoxinen bei Lebensmitteln auf, aber propagierten auch das Potential von fermentierten Lebensmitteln durch längere Haltbarkeit und Bekömmlichkeit.

Ein Unternehmen für Vertical Farming stellte sich ebenso vor wie das inter- und transdisziplinäres Forschungsprojekt zirkulierBAR in Eberswalde, welches Inhalte aus Trockentoiletten zu Dünger veredelt.

Ein spannendes Konzept stellte auch die TechnologieRegion Karlsruhe vor, wobei es sich um einen regionalen, bundeslandübergreifenden und transnationalen Zusammenschluss aus öffentlichen und privaten Gesellschaften handelt. Die TechnologieRegion Karlsruhe möchte regionale Kooperationen im Bereich der Produktion und Nutzung von Pflanzen- und anderer biobasierter Fasern aufbauen. Ziel ist es, Bereiche wie den Bausektor oder auch die Landwirtschaft (bspw. durch Insektendünger) nachhaltiger zu gestalten.

Angelockt durch den Vortrag von Prof. Dr. Dr. Urs Niggli nahmen schätzungsweise 100-200 Personen das Angebot dieses Abends wahr und kamen mit den verschiedenen Vertretern ins Gespräch. Auch der Stand des Öko-Progressiven-Netzwerks war gut besucht und es gab einigen Austausch. Leider sind solche Gelegenheiten meist zu kurz, um ein so komplexes Thema wie die progressive Umgestaltung der Landwirtschaft und die Ideen des Öko-Progressiven Netzwerks umfassend im Gespräch zu erläutern. Aber es muss ja nicht beim Erstkontakt bleiben: wir freuen uns über alle Interessierten, die bei uns aktiv werden oder mit uns in den Austausch treten wollen!

Wir danken dem Forum Nachhaltigkeit für die Möglichkeit, unsere Arbeit und unsere Vision einer nachhaltigen Landwirtschaft an diesem Abend präsentieren zu können.

Das ausgestellte Poster. Die Überschriften sind:- Öko-Progressives Netzwerk e. V. - Nachhaltigkeit ohne "früher war alles besser". - Wer sind wir - Einige unserer Projekte - Unsere Arbeit - Unsere Vision - Unsere Themen
Das Poster, das im Forum Nachhaltigkeit von ÖkoProg ausgestellt wurde.

 

 

Sophia Müllner
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