The statue of liberty in a worn down laboratory wearing a torn lab coat.
Erschienen inAllgemein
28. Januar 2025

Die Schwerkraft der Lage –  Wissenschaft im freien Fall

Der Drang, die Welt zu verstehen, hat mich schon als Kind in seinen Bann gezogen. Ich habe mich in Geschichten über verborgene Wunder verloren – nicht greifbare Sterne, ferne Planeten und längst ausgestorbene Dinosaurier. Ehrlich gesagt, das war verdammt cool. Für mich waren Wissenschaftler*innen Superhelden – immer auf Entdeckungsreise, auf Abenteuern, heilten Krankheiten und immer dabei, den Planeten zu retten.

So war es nicht verwunderlich, dass ich nach einem kurzen Abstecher ins Jurastudium den Weg in die Biologie fand. Aber in der Hektik des Alltags vergesse ich leicht, warum ich diese Reise überhaupt angetreten habe. Fehlgeschlagene Experimente, endlose Besprechungen oder eine kaputte Kaffeemaschine hin und wieder sind meilenweit entfernt vom Nervenkitzel und der Neugier auf neue Entdeckungen, den ich mir in meiner Kindheit erträumt habe. Manchmal verliere ich aus den Augen, was für eine Ehre – und was für ein Privileg – es ist, frei studieren und forschen zu können.

Wissenschaft ist einzigartig, weil sie ein so facettenreiches Spektrum umfasst – Geisteswissenschaften, Kunst, Ingenieurwesen, Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaften – und ich möchte betonen, dass jede einzelne Disziplin von ihnen wichtig ist. Gemeinsam helfen sie uns, etwas wirklich Inspirierendes zu erreichen: Die Komplexität der Existenz greifbar zu machen. Durch die Wissenschaft können wir einen Blick auf die Gedanken und Visionen unserer Vorfahren werfen, verschiedene Epochen und Kulturen durch ihre Kunst und Literatur erforschen und die verborgenen Rhythmen der Natur aufdecken und sie in Technologien umsetzen, die unsere Welt antreiben.

Zugegeben: Statistiken, Gleichungen und ellenlange Berichte fühlen sich nicht gerade nach dem alltäglichen Leben an – manchmal sind sie sogar ziemlich langweilig. Aber sie sind in vielerlei Hinsicht das Äquivalent zu unseren fünf Sinnen: Sie liefern uns Informationen, aus denen unser „Gehirn“, oder besser gesagt unsere klugen Köpfe und Wissenschaftler*innen, Schlussfolgerungen ziehen und einen tieferen Sinn ableiten können. Es ist eine Ehre, Teil dieses kollektiven Unterfangens zu sein. Es ist eine Superkraft mit einer großen Verantwortung. Und doch, wenn ich heute einen Blick über den Atlantik werfe, weiß ich nicht, ob dieses Ideal Bestand haben kann.

Anders gesagt:  die Freiheit und Unabhängigkeit der globalen wissenschaftlichen Gemeinschaft ist bedroht. Innerhalb weniger Tage nach ihrem Amtsantritt ist die zweite Trump-Regierung der Vereinigten Staaten aus dem Pariser Klimaabkommen (ApNews – Trump signs executive order directing US withdrawal from the Paris climate agreement — again) ausgetreten und hat geschützte Naturschutzgebiete für die Förderung fossiler Brennstoffe zum Abschuss frei gegeben (Reuters – Trump says he will unleash American fossil fuels, halt climate cooperation). Bei der NASA (engl. National Aeronautics and Space Administration) wurden Mitarbeitende  angewiesen, ihre Kollegen zu denunzieren und Einstellungen zu melden, die im Rahmen von Mandaten für Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration (engl. Diversity Equity Inclusion, DEI) vorgenommen wurden (BSKY-Post von Laura Lopez ). 

In der Zwischenzeit steht zeitnah der führende Impfskeptiker, Robert F. Kennedy Jr., an der Spitze des Gesundheitsministeriums (engl. Department of Health and Human Services, HHS), das bereits jetzt schon die externe Kommunikation von wichtigen Behörden wie dem CDC (engl. Centre of Disease Control), der FDA (engl. Food and Drug Administration) und dem NIH (engl. National Institute of Health) auf bisher unbestimmte Zeit eingefroren hat. 

Dies ist keine Kleinigkeit, keine normale Unannehmlichkeit. Diese Kommunikationskanäle sind unerlässlich, um die Öffentlichkeit vor Krankheitsausbrüchen zu warnen, gerade jetzt mit H5N1 (Vogelgrippe-Virus) an der Schwelle, die internationale Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten und zu fördern und 47 Milliarden USD an Forschungsgeldern zu verwalten, von denen über 3.000 Einrichtungen und 300.000 Wissenschaftler*innen leben (Nature – ‘Never seen anything like this’: Trump’s team halts NIH meetings and travel). Kurz darauf, hat nun auch die NSF (engl. National Science Foundation), welche ein Viertel aller Grundforschungsprojekte in den USA fördert, alle Forschungsmittel-Anfragen ausgesetzt (National Science Foundation freezes grant review in response to Trump executive orders : Shots – Health News : NPR). Das Einfrieren der Mittel und die Demontage dieser Systeme würde nicht nur den Fortschritt aufhalten, sondern könnte Forschungsprojekte und wissenschaftliche Karrieren und Kompetenzen um Jahre zurückwerfen, wenn nicht sogar völlig ruinieren.

Und es geht nicht nur um Geld. Die Wissenschaft lebt von der Vielfalt – von der Vielfalt der Ideen und Perspektiven, die sich aus der Zusammenarbeit von Menschen verschiedener Ethnien, Fähigkeiten und Identitäten ergeben. Aber wie viele dieser Wissenschaftler*innen werden im Zuge des harten Vorgehens gegen DEI-Initiativen verloren gehen? Wie viele bahnbrechende Ideen werden nie gedacht werden? Wie viele transformative Projekte werden nie beginnen? 

Das CDC hat Pionierarbeit bei der HIV/AIDS-Prävention geleistet, die Ausrottung der Pocken und beinahe der Kinderlähmung angeleitet und die Ausbreitung der Vogelgrippe H1N1, Ebola oder COVID-19 eingedämmt und koordiniert. Die NIH ist die größte biomedizinische Förderorganisation weltweit und beherbergt 170 Nobelpreisträger*innen mit international relevanten Errungenschaften wie MRT-Geräten, CT-Scans, Genome-Editing, HIV/AIDS-Behandlung und der Entwicklung von HPV-, Hepatitis-B- und mRNA-Impfstoffen. Was mit diesen Organisationen geschieht, das reicht weit über die Grenzen der USA hinaus – Spätestens jetzt wo die Trump Administration nicht nur die USA aus der WHO (internationale Gesundheitsbehörde) austreten ließ, sondern auch alle Zusammenarbeit zwischen CDC und WHO beendet hat (CDC ordered to stop working with WHO immediately, upending expectations of an extended withdrawal).

Mit den Worten von JD Vance (50. Vizepräsident der Vereinigten Staaten) fallen die Hüllen des Trump Regimes, so macht er die Zielsetzung mit den Worten Richard Nixons ganz klar: „Professoren sind die Feinde“ (J.D. Vance | The Universities are the Enemy | National Conservatism Conference). 

Indem sie die Intellektuellen auf der ganzen Welt – und insbesondere in den USA – als Feind darstellt, hat Trumps Regierung eine neue Phase des Krieges gegen Fakten und Wissenschaft eingeleitet, der sich seit einem Jahrzehnt zusammenbraut.

Der wissenschaftliche Konsens wird ignoriert, Regulierungsbehörden werden abgebaut, internationale und öffentlich finanzierte Forscher sind gefährdet. Währenddessen sitzen die Vorstandsvorsitzenden von Tech-Giganten – Unternehmen, die einen Großteil ihres Erfolgs der öffentlich finanzierten Forschung in den Bereichen künstliche Intelligenz, Raumfahrt und Computertechnik zu verdanken haben – bei der Amtseinführung von Präsident Trump, bequem hinter ihm. Der reichste unter ihnen ist sein Berater Elon Musk, der bereits den Kurznachrichtendienst Twitter in die Knie gezwungen und Wikipedia attackiert hat. Während andere KI-Firmen grünes Licht für ein staatlich gefördertes, 500-Milliarden-USD-schweres KI-Projekt erhalten haben (CNN – Trump shrugs off Elon Musk’s criticism of AI announcement: ‘He hates one of the people’). Unter dem Motto „Wissenschaft für mich, aber nicht für euch“ scheint die neue US-Regierung bereit zu sein, wissenschaftliche Forschung nur für diejenigen zu finanzieren, die den Werten und Lehren von Trumps Anhängern treu sind, unabhängig davon, ob diese auf der Wahrheit beruhen oder nicht. 

Bei dem, was in den USA geschieht, geht es um mehr als nur um die Wissenschaft selbst; es ist eine Herausforderung für die Beziehung zwischen Wissenschaft, Technologie und Demokratie. Es wirft kritische Fragen darüber auf, wem es erlaubt ist, Wissen zu generieren, zu analysieren und zu verbreiten – und stellt es scheinbar unter den Einfluss politischer Interessen. 

Die Wissenschaft ist jedoch weder parteiisch noch voreingenommen – wenn sie richtig und transparent praktiziert wird. In ihren zahlreichen Disziplinen setzt sich die Wissenschaft mit der Komplexität unserer Existenz auseinander, oft auf unpopuläre Weise. Sie deckt unbequeme Wahrheiten auf – wie den katastrophalen Verlust der Artenvielfalt durch eine nicht nachhaltige Landnutzung, die Gefahren der vom Menschen verursachten Kohlenstoffemissionen, die die Temperaturen in unbewohnbare Bereiche treiben, und die Verbreitung von Mikroplastik-Verschmutzung. Wir verlassen uns auf die unabhängige Wissenschaft, um unsere Welt zu überwachen – wie sonst könnten wir uns in den Gefahren zurechtfinden, denen wir ausgesetzt sind? Wer sonst könnte uns warnen? Abgesehen von Umweltfragen bietet die Wissenschaft entscheidende Erkenntnisse über die Zunahme des Extremismus, die Stabilität politischer Systeme und Strategien zur Bekämpfung von Ungerechtigkeit und Armut. Wohin wenden wir uns, wenn wir Antworten suchen? An Politik- und Sozialwissenschaftler*innen!

Dies macht die Wissenschaft zu einer bedrohlichen Kraft für jeden, der danach strebt, Macht und Wahrheit zu monopolisieren. Die Geschichte ist voll von Beispielen für dieses Spannungsverhältnis: Die Verfolgung von Galileo Galilei und Charles Darwin durch die Kirche, der Missbrauch der Wissenschaft zur Rechtfertigung der Eugenik im dritten Reich, die Rechtsdoktrinen der Nazis und der Lyssenkoismus in der Sowjetunion, welcher schon damals widerlegt behauptete, dass Eigenschaften von Lebenswesen von der Umwelt und nicht von Geben bestimmt sind. Autoritäre Systeme haben Wissenschaft immer nur dann geduldet, wenn sie ihren Zielen dienten – andernfalls wurden abweichende Stimmen zum Schweigen gebracht, verfolgt oder inhaftiert. Wenn wir unser Leben und unsere Realität weiterhin auf objektive Fakten und universellen Wahrheiten gründen wollen, müssen die Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft immer wieder verteidigt und gesichert werden.

Dieser Gedanke ist nicht nur in den USA zu beobachten – Victor Orbán und die Fidesz-Partei haben die wissenschaftliche Freiheit in Ungarn durch die Privatisierung von Universitäten und die Steuerung von Einstellungen durch staatliche Gremien demontiert (Springer – Right-wing Populism and Freedom of Science in Viktor Orbán’s Hungary ). In Polen hat die PiS-Partei während ihrer Regierungszeit die Wissenschaftsdisziplinen abgeschafft und die demokratischen Organe, die sie regulieren, entfernt (Project Syndicate – Intellectual Freedom and Its New Enemies ). In Österreich hat die FPÖ in ihrem Wahlprogramm ebenfalls klar festgelegt, was für sie inakzeptable Wissenschaft ist: Impfstoffe, Gentechnik und In-vitro-Fleisch (Wiener zeitung – ÖVP und FPÖ: Forschung fördern oder populistisch bremsen? ).In Deutschland, wo ich lebe, studiere und arbeite, unterstützt die AfD COVID-Skeptiker und Klimaleugner, will Deutsch als Wissenschaftssprache einführen und Gender-Studies abschaffen (German ‘should remain language of academia’, demands AfD | Times Higher Education (THE), Debatte über AfD-Forderung für ein Ende der Gender-Forschung ). Dass es sich hierbei vor allem um eine soziale und kulturelle Analyse von Geschlecht handelt, einschließlich der Untersuchung geschlechtsbezogener Ungerechtigkeit im Gesundheitswesen, in der Arbeitswelt und in der Technologie, sei natürlich dahingestellt – wenn die eigene Rhetorik so fragil ist, dass sie an Gendersternchen oder an der offenen Diskussion darüber zerbricht, ob Geschlechtsidentität nur biologisch bestimmt ist.

Mit anderen Worten: Bürger*innen und Wissenschaftler*innen in Europa! Halten Sie Ihre Politiker*innen in der Verantwortung, freie, unabhängige Forschungssysteme zu sichern!

Ich bin nicht nur Biologe oder Nachwuchswissenschaftler, sondern auch Gründungsmitglied des Öko-Progressiven Netzwerks. Ich bin davon überzeugt, dass wir angesichts der künftigen Herausforderungen, vor denen wir stehen, in hohem Maße auf die Arbeit einer Vielzahl von Forschende aller Fachrichtungen angewiesen sein werden, die unsere Welt überwachen und uns mit Daten und technologischen Instrumenten versorgen, um unseren Weg in eine nachhaltigere, gerechtere und lebenswertere Zukunft für alle zu lenken. 

Wir sehen wie Technologieunternehmen Hand in Hand mit der autoritären Politik der Trump-Administration gegangen sind und durch ihre Macht über Kapital, Algorithmen und Daten sogar seinen Wiederaufstieg zur Präsidentschaft erst ermöglicht und gefestigt haben. Regulatorische Angelegenheiten sind ein Hindernis für die Weiterentwicklung ihrer Produkte und Kapitalinteressen – deutlich zu sehen an der Geschwindigkeit, mit der KI-beschränkende Vorschriften durchbrochen wurden (Trump revokes Biden executive order on addressing AI risks | Reuters) . 

Aber reiner Techno-Optimismus wird uns nicht helfen, eine lebenswerte Zukunft zu verwirklichen – es reicht nicht aus, immer bessere Technologien und mehr Daten zu haben. Wenn der technologische Fortschritt zur Grundlage der Politik wird, wird die Demokratie zum Hindernis. 

Wir brauchen eine Regulierung, die den sicheren Einsatz von Technologie auf nachhaltige Weise sicherstellt, die Macht der Unternehmen bei der Vorgabe des Einsatzes ihrer Technologien und Dienstleistungen – sei es KI oder Biotechnologie – begrenzt und unseren Gesellschaften die Möglichkeit gibt, zu entscheiden, wie wir sie nutzen wollen, und auch darüber zu diskutieren, welche Gesellschaft wir anstreben wollen.

Hier muss die EU die Führung übernehmen und einen anderen Kurs einschlagen – einen Kurs, bei dem Transparenz, Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht den Weg weisen, wie wir Technologie in die Gesellschaft integrieren. Die EU kann den freien Zugang zur Forschung fördern, Projekte finanzieren, bei denen Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit im Vordergrund stehen, strenge ethische Rahmenbedingungen für neu entstehende Technologien schaffen – und die Wissenschaft frei, unabhängig und öffentlich halten! 

Wenn wir uns diese Grundsätze zu eigen machen, kann die EU zu einem globalen Vorbild werden und beweisen, dass Innovation, Demokratie und Umweltverantwortung nicht nur miteinander vereinbar, sondern untrennbar sind. Die Welt schaut zu, und es könnte nicht mehr auf dem Spiel stehen. Wie Joe Biden in seiner Abschiedsrede sagte, sind wir an der Reihe, die „Hüter der Flamme“ zu sein – die vielleicht manchmal nur der Bunsenbrenner eines öffentlichen Labors ist.

Christian-Frederic Kaiser
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