Microbes matter – Eine Reise durch die Welt der Präzisionsfermentation

Was wäre, wenn Du einen saftigen Burger genießen könntest, der zwar genauso schmeckt wie ein Burger aus Fleisch, aber nie Teil eines Rind gewesen ist? Was wäre, wenn wir Tierleid abschaffen und aus Weiden und Futteräckern Wildnis machen könnten? Das könnte in der Zukunft der Landwirtschaft passieren with a little help from our tiny friends!

Essen ist ein emotionales Thema. Immerhin versorgt es uns nicht nur mit Nährstoffen, es ist auch köstlich (hoffentlich), es verbindet uns mit unserer Kultur, unserer Herkunft und bringt uns als Gruppen zusammen – es ist eine Freude für alle Sinne! Was kommt Dir in den Sinn, wenn Du an den Ursprung von Fisch, Fleisch und Gemüse denkst? Eine grasende Herde von Kühen im Allgäu, ein Angler an einem nebelverhangenen Fluss oder die ländliche Idylle im Sonnenuntergang? Oder gleichförmige Felder, die bis an den Horizont reichen und viele Tiere auf engem Raum? Beides existiert, doch bringt es die wachsende Weltbevölkerung mit sich, dass beides zum Problem wird.

Intensiv oder extensiv: Pest oder Cholera?

Denn zwar bringt die “intensiv” genannte Form der Nahrungsmittelproduktion ökologische Probleme auf den Flächen und in Gewässern mit sich, vor allem durch den Eintrag von Stickstoff. Und intensive Tierhaltung geht zu Lasten des Tierwohls. Doch auch die idyllisch anmutende Form von Landwirtschaft, die “extensiv” genannt wird und bevorzugt auf Milchpackungen und Werbeplakaten zu sehen ist, hat gravierende ökologische Auswirkungen. Denn sie braucht viel mehr Fläche. Das ist logisch, denn Tiere sollen mehr Platz haben und ein Verzicht auf mineralischen Dünger und konsequenten Pflanzenschutz führt zu Ernteverlusten, sodass mehr Acker für dieselbe Menge Getreide verwendet werden muss. Jetzt könnte man sagen, das sei es aber wert, dann braucht diese Form der umweltschonenderen Landwirtschaft eben mehr Fläche. Doch hier offenbart sich einer der am weitesten verbreiteten Irrtümer unserer Zeit, wenn es um Landwirtschaft geht: Fläche steht uns nicht unbegrenzt zur Verfügung. Ganz im Gegenteil.

Der Konsum weltweit steigt, alle Menschen möchten und sollten ausreichend zu Essen haben. Gleichzeitig nutzen wir schon heute mehr Fläche des Planeten für Landwirtschaft (v.a. Weidehaltung und den Anbau von Futtermitteln) als den Ökosystemen gut tut. Es ist eine einfache Rechnung, dass eine weltweite Ausweitung des Anbaus, noch zusätzlich angefeuert von einer Extensivierung (z. B. durch Umstellung auf das, was momentan „ökologischer Landbau“ genannt wird), eine große Bedrohung für die Biodiversität und das globale ökologische Gleichgewicht darstellt.

Keine dieser beiden Formen der heute existierenden Landwirtschaft stellt also eine Lösung für unser Problem dar. Und genau deshalb ist der Dualismus zwischen „konventionell“ (aka intensiv) und „ökologisch“ (aka extensiv) für die Entwicklung eines wirklich nachhaltigen Ernährungssystems so lähmend.1

Doch etwas Revolutionäres braut sich zusammen. Etwas, das die Verbindung vom Acker in den Mund fundamental auf den Kopf stellen und die scheinbar unaufhaltsame Zerstörung von Ökosystemen durch unsere Ernährung stoppen könnte. Die Tür hin zu einer Zukunft, in der die uns so vertraute Verbindung zwischen Boden, Land und Nahrung gelöst wird. Durch die Fähigkeiten von mikroskopischen Geschöpfen.

 

Fermentation: Unsere Symbiose mit Mikroorganismen

Es begann vor Tausenden von Jahren, als eine winzige Mikrobe das große Wunder vollbrachte: aus Trauben wurde Wein, aus Gerste Bier! Oder, um es etwas wissenschaftlicher auszudrücken, aus Saccharose wurde Ethanol. Ein wahres Wunder, vor über 9000 Jahren, das unsere steinzeitlichen Ur-Ur-Ur-Ur-(…)-Großeltern vielleicht auch davon überzeugte das Sammeln und Jagen für ein sesshaftes Leben mit einem entspannten Bier am Feierabend einzutauschen. Verantwortlich hierfür ist ein mikroskopischer Pilz namens Saccharomyces cerevisiae, fernab von wissenschaftlichen Fachabhandlungen auch als Bäckerhefe bekannt.

Und unsere Verbindung zum Mikroskopischen begann damit erst und sollte sich im Laufe der nächsten Jahrtausende immer weiter entwickeln. Bakterien verwandeln Milch in Joghurt, reifen Wurst, produzieren Essig, machen eingelegte Gurken und Gemüse haltbar. Andere Mikroben wachsen wiederum auf unserem Käse und erzeugen dadurch köstliche Variationen wie Camembert oder Brie. In anderen Gegenden der Welt fermentieren Mikroben Sojabohnen zu Miso, Weißkohl zu Kimchi, Fisch zu traditionellem Sushi und Cassava zur Würzsauce Tucupi.

Überall wo es Menschen gibt, ist Fermentation ein wichtiger Teil ihrer Esskultur, um Lebensmittel schmackhafter, gesünder oder haltbarer zu machen. Und Mikroben sind ohnehin überall – vom Boden, über den Teller, bis in unseren eigenen Körper. Diese kleinen Geschöpfe leben in ihren eigenen Gesellschaften aus Pilzen, Bakterien und verschiedenen anderen Kleinstlebewesen. Gemeinsam leisten sie Erstaunliches, wie die Produktion von Proteinen aus Luft-Stickstoff, was weder Pflanzen noch Tieren (uns eingeschlossen) möglich ist. Dadurch stellen sie essentielle Nährstoffe für Pflanzen zur Verfügung und über diesen Umweg auch für uns. Seit einigen Jahrzehnten nutzen wir diese kleinen biologischen Chemiefabriken auch,  um eine ganze Palette bemerkenswerter Substanzen wie Geschmacks-, Farb-, und Arzneistoffe zu produzieren.

 

Wie Mikroben die Welt bereits gerettet haben

Unser Verhältnis zu Mikroben änderte sich grundlegend im Jahre 1917, als James Currie entdeckte, dass ein Pilz, genau genommen der schwarze Gießkannenschimmel, auf Latein Aspergillus niger, Zucker in Zitronensäure umwandeln konnte. Der Beginn der Biotech-Revolution!

Zitronensäure? Das klingt vielleicht ein bisschen langweilig, aber Zitronensäure ist überall: In Nahrungsmittel, Medikamenten, Kosmetika – die Liste lässt sich endlos fortsetzen. Der Name leitet sich von der ursprünglichen Quelle ab: Zitrusfrüchte. Doch tatsächlich enthält Zitronensaft nur 3 – 5 %  Zitronensäure. Heutzutage produzieren wir global aber 2.000.000 Tonnen Zitronensäure, den Großteil davon mithilfe dieses freundlichen Schimmelpilzes.

Doch warum ist das wichtig? Zeitgleich beträgt die weltweite Zitronenernte 1.000.000 Tonnen. Das klingt nach viel, doch bei einem Zitronensäuregehalt von 5 % bräuchten wir heute mindestens 54-Mal mehr Zitronen, um die globale Nachfrage zu bedienen. Wir können also zugespitzt sagen, dass ein kleiner Schimmelpilz Italien und Spanien davor bewahrte, eine Zitronenwüste zu werden.

Die Flächenersparnis ist eine der großen Errungenschaften der mikrobiellen Helfer, aber das ist noch lange nicht alles. In modernem Waschpulver helfen mikrobiell hergestellte Enzyme dabei, Schmutz aus Textilien zu lösen und dadurch die Waschtemperatur zu senken. Das spart nun seit Jahrzehnten Unmengen an Energie ein. Durch Hefen und Bakterien erzeugtes Lab (zur Käseherstellung) und Insulin, machen uns unabhängig von den Organen von Kälbern (Lab) bzw. Schweinen (Insulin) und schafften damit eine Produktion dieser und weiterer Stoffe, die ohne Tiere auskommt. 

Nachhaltigkeit kann also vorankommen, wenn wir die Chemie-Superkräfte der Natur nutzen. Und Mikroben haben nicht nur durch die traditionelle Fermentation sehr wahrscheinlich zur Entstehung moderner Zivilisationen maßgeblich beigetragen, sondern durch moderne Anwendungen wie Zitronensäure, Medizin und Waschmittel womöglich schon mehrmals die Welt gerettet.

 

Landwirtschaft in der Krise – Microbes to the rescue

Die Landwirtschaft steht am Scheideweg. Einerseits erfährt sie nie dagewesenen Druck durch den Klimawandel, die wachsende Weltbevölkerung und beschränkte Nutzfläche, andererseits trägt sie selbst maßgeblich zur Belastung von Ökosystemen und zur Biodiversitätskrise bei.

Der deutlichste und gravierendste Aspekt ist die Landnutzung. Die Hälfte der bewohnbaren Fläche unseres Planeten wird für Viehhaltung (38,5 %) und Ackerbau (11 %) genutzt, wodurch natürliche Lebensräume und Ökosysteme verdrängt und verschoben werden, was wiederum Zwei-Drittel der Arten auf der roten Liste bedroht. Zusammengezählt ist es eine Fläche so groß wie Nord-, und Südamerika, die momentan zur Viehhaltung genutzt wird und der weltweite Fleischkonsum wird auch künftig weiter ansteigen.

Die Aufgabe, die sich darauf ableitet, ist eindeutig: Flächenverbrauch drastisch verringern, um genug Nahrung zu produzieren und gleichzeitig der Natur Raum zu geben.

Andererseits hat die Landwirtschaft enorme Fortschritte im letzten Jahrhundert erzielt. Wir sind nun in der Lage, immer mehr Nahrung für immer mehr Menschen auf unserem Planeten zur Verfügung zu stellen und das alles bei einem relativ immer geringeren Flächenbedarf. Die Entkopplung dieses Flächenbedarfs von Erträgen ist der große Erfolg von technologischem und wissenschaftlichem Fortschritt: Pflanzenschutzmittel, Agrartechnologie und Pflanzenzüchtung. 3 Aber ein kurzer Reminder: Die Zeit wird knapp!

Nach über hundert Jahren des Erforschens, Sammelns und Beschreibens der mikroskopischen Welt durch die Mikrobiologie, können wir uns nun die natürlich vorkommende chemische Diversität dieser Kleinstlebewesen endlich gezielt zunutze machen. Molekularbiologische und gentechnische Methoden erlauben es uns, spezielle Merkmale aus dieser Palette der Biodiversität auszuwählen und miteinander neu zu kombinieren, um so beispielsweise Milchprotein herzustellen. Chemisch identisch zu Milchprotein von Kühen, nur ohne, dass je eine Kuh im Spiel war (okay, eventuell ein paar ihrer Gene). Aber es sind häufig gar keine gentechnischen Methoden nötig, denn Mikroorganismen lassen sich durch ihre schnelle Vermehrung auch sehr schnell in bestimmte Richtungen züchten. Außerdem ist der größte Teil, der in der Natur vorkommenden Mikroben noch immer unbekannt und es werden ständig neue entdeckt, mit neuen Fähigkeiten.

Dank des Wissens über die zugrundeliegende Genetik der Fermentationsfähigkeiten dieser Mikroorganismen und unserer Fähigkeit, diese gezielt zu verändern, sind wir also nun bereit für eine Renaissance der Fermentation. In sogenannten Bioreaktoren, großen Gefäßen aus Metall, kann in Zukunft so gut wie alles gebraut werden. Einige Beispiele folgen im nächsten Abschnitt. Das Prinzip bleibt weiterhin dasselbe, wie schon bei Bier und Wein: Mikroorganismen setzen den einen in einen anderen Stoff um. Wissen über die genetischen Grundlagen dieser Umsetzung und die Fähigkeit sie zu verändern, erweitern die Möglichkeiten enorm. Insofern sind Präzisionsfermentation und Biotechnologie allgemein nur eine Fortsetzung von etwas, das wir ohnehin schon seit Ewigkeiten tun: Wir kooperieren mit der Biologie der Natur, um unser Leben besser zu machen.

Und nun ist es an der Zeit, durch diese Kooperation auch die Natur vor uns zu schützen.

Fermenting the Future – ein ganz normaler Tag mit Präzisionsfermentation

Stell dir vor, es ist 2042, sagen wir im Frühsommer (beste Jahreszeit einfach). Nachdem dich die ersten Sonnenstrahlen wecken, schaltet sich der individualisierte Newsfeed auf deiner Smart-Wall an. Und, nun ja, ohne einen starken Kaffee ist es schwer, die ersten Nachrichten des Tages über die trotz allem anhaltenden Folgen des Klimawandels hören zu müssen. Während du trinkst, denkst du über die Tatsache nach, dass Kaffee vor gar nicht langer Zeit noch aus gerösteten Kaffeebohnen hergestellt wurde. Aus echten Pflanzen also. Das gibt es zwar immer noch, ist inzwischen aber eher eine exotische Ausnahme. Der Großteil wird nun in Fermentern von Mikroorganismen hergestellt. Ein paar geniale Leute bei einem Startup haben es damals in den 20er Jahren irgendwie geschafft, das Gen für Kaffeearoma in Bakterien einzubringen, oder so ähnlich. Inzwischen gibt es überall auf der Welt Produzenten, sodass sich so gut wie jeder auf der Welt Kaffee leisten kann. 

Du gehst in die Küche und trinkst ein Glas Milch, die noch nie mit einer Kuh in Berührung gekommen ist und erinnerst dich daran, dass diese Idee in den USA ihren Anfang genommen hat und man sich in der EU noch lange über den rechtlichen Status uneinig war und es dann ziemlich streng reguliert hat. Dabei gab es sogar in Deutschland ein Start-up, das Milch und Käse mit Präzisionsfermentation hergestellt haben. Dafür ist viel weniger Fläche notwendig, als für konventionelle Milch – sagt die Wissenschaft. So steht es auf der Verpackung. Langsam entfaltet der Kaffee seine Wirkung und deine Stimmung hebt sich. Während du die Milchverpackung in Händen hältst, versuchst du dir vorzustellen, wie viele Kühe notwendig wären, um Milch für die gesamte Weltbevölkerung zu produzieren. Die Erde wäre wohl eine einzige, riesige Weide.

Okay, genug der Tagträumerei. Deine Smart-Lense sagt dir, dass es Zeit ist, sich zu beeilen. Du bist auf dem Weg zur Arbeit, mit dem Fahrrad. Für zwischen den Mahlzeiten hast du immer einen Proteinshake mit dabei. Dieser wurde auch durch Mikroorganismen hergestellt, und zwar nur aus Luft und Sonnenenergie.

Zum Mittagessen gehst du zusammen mit Kollegen in ein Restaurant, das hervorragende Burger macht. Die haben ein neues Rezept, mit einer Zutat namens “Häm”, die aus Kobe-Rindern hergestellt wird. Wobei… dieses “Häm” verleiht dem Kobe-Rindfleisch sein Aroma, wird aber mittlerweile von Mikroorganismen hergestellt. Wenn Du das richtig verstanden hast. Aber die Burger werden so gut wie nie aus Hackfleisch hergestellt, so wie früher einmal, sondern sind komplett pflanzlichen Ursprungs.

Später belohnst du dich mit ein bisschen Schokolade und was sollen wir sagen: Die Kakaobutter darin wird ebenfalls durch Präzisionsfermentation hergestellt. Dadurch wurden die verbleibenden, äquatorialen Ökosysteme vor Abholzung verschont. Heutzutage wollen beinahe 9 Milliarden Menschen Schokolade essen und es gibt einfach nicht genug Landfläche, um all die Kakaobäume anzubauen.

Nach der Arbeit gehst du heute nicht ins Fitnessstudio, sondern mit einigen Freunden in einen Pub. Die Wirtin begrüßt euch und serviert eine Schüssel mit proteinreichen Crackern aus Pilzmyzel, bevor sie eure Bestellung aufnimmt. Pilzmyzel wurde in den letzten Jahrzehnten immer beliebter. Man kann viele verschiedene Sachen daraus herstellen, es quasi allgegenwärtig und wird in großen Mengen in Fermentern hergestellt. Zum Beispiel Materialien, aber eben auch proteinreiche Lebensmittel können daraus hergestellt werden. Tatsächlich steht eine dieser Anlagen gar nicht weit von deinem Zuhause entfernt, auf dem Dach eines Hauses direkt in der Stadt. Sieht ein bisschen aus wie eine Brauerei. Nein, eigentlich genau so wie eine Brauerei. Und du hast gehört, dass man als Futter für die Pilze sogar Rest- und Abfallstoffe als Ausgangsmaterial verwenden kann. Verrückt.

Die Wirtin bringt euch euer Bier. Das Bier wird mithilfe von mikrobiellen Hefen hergestellt, die Saccharose in Ethanol verwandeln. Also so, wie immer schon. Prost!

 

Gemeinsam den Wandel gestalten

Klingt das nicht gut? Oder zu optimistisch? Wir finden, dass optimistische Zukunftsvisionen erlaubt sind und uns helfen können, uns auf eine gemeinsame Zukunft zu einigen. Vielleicht findet ihr diese Vision aber nur teilweise und ganz und gar nicht erstrebenswert? Lasst und darüber ins Gespräch kommen. Es gibt heute noch viele offene Fragen zur Präzisionsfermentation und zur mikrobiellen Nahrungsproduktion. Doch das Potenzial ist da und wir sollten es im Sinne der Nachhaltigkeit nutzen.

Die Landwirtschaft befand sich schon immer  in einem stetigen Prozess des Wandels und der Anpassung an gesellschaftliche, ökonomische, geographische und kulturelle Gegebenheiten. Dies führte zu einem komplexen Netzwerk und aufeinander aufbauenden Kreisläufen. Von heute auf morgen einfach nur die Viehhaltung durch Mikroben zu ersetzen, würde beispielsweise auch die Wiederverwertung von Abfallstoffen wie Gülle zur Düngung und Erzeugung von Biogas wegfallen lassen. Wie werden wir dies ersetzen? Extensive Weidesysteme können zur Biodiversität beitragen. Sie sollten wohl die letzte Form der Tierhaltung sein, die verschwindet. In einem idealen Szenario könnte Präzisionsfermentation die industrielle Tierproduktion beenden und jene Tierhaltung, die sowohl aus der Sicht des Tierwohls akzeptabel und der Biodiversität zuträglich ist, weiterhin existieren. Aber wie gestalten wir Rahmenbedingungen, die eine solche Entwicklung befördern?

Und wenn immer mehr Nahrung aus Bioreaktoren kommt, was passiert dann mit den Menschen, die von Land- und Weidewirtschaft leben, vor allem im globalen Süden? Wem gehören die Lizenzen und Patente hinter diesen Technologien, Vielen oder nur einigen Wenigen? Werden wir diese Technologien akzeptieren oder ablehnen? Solche sozioökonomischen Fragen müssen unbedingt Beachtung finden und globale soziale Gerechtigkeit ist ein zentraler Pfeiler von echter Nachhaltigkeit.

Bezüglich der Nachhaltigkeit von Produkten aus Präzisionsfermentation ist sich die Wissenschaft über das prinzipielle Potenzial einig. Und natürlich ist es wichtig, dass neuartige Produkte sicher für Mensch und Umwelt sind. Aber ist es wirklich fair und sinnvoll, dass neue Produkte viel strenger reglementiert werden, als traditionelle Nahrungsmittel? So sieht es nämlich das EU Novel Food Law momentan vor. Viele kleine Firmen, die neue Lebensmittel herstellen und verkaufen wollen, finden deshalb in Europa keine Investoren und entscheiden sich, ihr Potenzial in anderen Ländern zu entfalten. Ist ein solches Verhindern neuer Lösungsansätze, die zu mehr Nachhaltigkeit beitragen können, nicht eine Gefahr für uns als Gesellschaft? 

Wir sind mit großen Herausforderungen konfrontiert, um Nahrung für alle bereitzustellen und trotzdem Landfläche aus der Nutzung zu nehmen und zu renaturieren. Gleichzeitig führen extreme Wetterereignisse, herbeigeführt durch den Klimawandel, dazu, dass Ernten ausfallen, Dürren ausbrechen, Böden erodieren und an Fruchtbarkeit verlieren. Mikrobielle Nahrungsmittelproduktion könnte uns von alledem unabhängiger machen, eine Art Back-up für die Lebensmittelproduktion etablieren. Denn Mikroben benötigen keinen speziellen Boden und weit weniger Landfläche. Außerdem können sie theoretisch wetterunabhängig und das ganze Jahr über produzieren, wodurch unsere Abhängigkeit von Ackerbau und Nutztieren sinken würde.

Aus unserer Sicht gibt es also sehr viele Gründe, dass sich Gesellschaft und Politik die Präzisionsfermentation genauer anguckt und möglichst schnell zu einem Teil der Lösung weiterentwickelt.

Also lasst uns darüber reden, wie wir die chemischen Superkräfte der Mikroben für unsere Zwecke nutzen können und die Art und Weise, wie wir über Essen denken und es produzieren, neu starten – #RebootFoot


 

Dieser Text basiert auf einem englischen Beitrag von uns auf dem Blog von RePlanet, einer internationalen Dachvereinigung öko-progressiver und ökomoderner Vereine: https://www.replanet.ngo/post/towards-a-farm-free-future-everything-you-need-to-know-about-fermenting

Ihr wollt noch mehr zu Mikroorganismen lesen? Wir haben drüben auf Progressive Agrarwende eine Serie dazu und finden hoffentlich bald Zeit, sie weiterzuführen: https://progressive-agrarwende.org/thema/mikrobiologie/ 

Wir haben zu diesem Thema auch kürzlich einen Vortrag gehalten bei der ersten Konferenz von RePlanet in Warschau: 

Am Dienstag den 22. November organisieren wir gemeinsam mit RePlanet in Düsseldorf ein Event mit dem britischen Autor und Umweltaktivist George Monbiot: https://www.eventbrite.com/e/george-monbiot-regenesis-feeding-the-world-without-devouring-the-planet-tickets-439178573937?aff=ebdssbdestsearch&keep_tld=1

Falls Du diesen Beitrag erst danach liest oder es nicht live nach Düsseldorf schaffst, auf dem YouTube-Kanal von RePlanet gibt es ein aufgezeichnetes Webinar:

Titelbild Quelle: tiburi/pixabay


Einzelnachweise

  1. Mehr zu diesem Thema findet ihr auf dem Blog der Progressiven Agrarwende, u.a. in diesem Offenen Brief an Cem Özdemir und Steffi Lemke https://progressive-agrarwende.org/offener-brief-an-lemke-und-oezdemir/
  2. Allerdings ist dieser Fortschritt weltweit sehr ungleich verteilt, fundierte Daten hierzu findet man bei Our World in Data: https://ourworldindata.org/explorers/global-food?tab=chart&time=1961..latest&facet=none&hideControls=true&Food=Cereals&Metric=Yield&Per+Capita=false&country=OWID_WRL~IND~CHN~Africa~USA~GBR~BRA~TCD~NER~BEL~IRL~NLD

    Dennoch, die Nahrungssicherheit steht auf dünnem Eis, denn im Jahr 2019 war es noch immer für ganze 13 % der Weltbevölkerung keine Selbstverständlichkeit, am nächsten Tag Brot auf ihren Tellern zu haben. Nie dagewesene Naturkatastrophen wie die globale Dürre von 2021 – 2022, massive Überflutungen wie die in Pakistan und die daraus resultierenden Wirtschaftskrisen erfordern eine Landwirtschaft, die einerseits widerstandsfähiger (resilienter) ist und andererseits weniger Schäden an der Umwelt erzeugt. Und hier kommen unter anderem auch Mikroben ins Spiel.

     

    Essen, was ist das eigentlich?

    Mikroorganismen können also zu unserer Ernährung beitragen, darauf wollen wir hier hinaus. Aber wo fangen wir an? Vielleicht damit, was “Essen” überhaupt ist.

    Fast alles, das wir essen, ist erst einmal einen Pflanze, ein Pilz, oder ein Tier. Manches davon essen wir mehr oder weniger direkt und anderes müssen wir zu Zutaten wie Mehl, Milch und Öl weiterverarbeiten. Dann beginnt die Magie: Wir vermischen all diese Bestandteile zu etwas so Wundervollem wie Pizza, Crème Brulée oder einem grünen Matcha Smoothie mit einem Hauch Papaya. Auf mikroskopischer Ebene bestehen Nahrungsmittel aus zwei grundlegenden Komponenten: Einem strukturgebenden Gerüst (auch “Gewebe” genannt) und einer individuellen Auswahl charakteristischer Chemikalien.

    Das Wort “Chemikalien” klingt für die meisten immer noch gruselig, aber genau diese sind für die Eigenschaften unserer Nahrung so wichtig. Sie entscheiden über Nährwert, Geschmack, Farbe, Gesundheitsnutzen und Textur. Essen ist Biologie und Biologie besteht aus Chemie. 

    Was wäre, wenn wir die Art und Weise, wie wir diese beiden Komponenten produzieren, von Grund auf neu starten könnten? Wenn wir einen neuen Zulieferer finden würden? Wenn der nächste große Erfolg, den wir Mikroben zu verdanken hätten, nicht langweilige Zitronensäure wäre, sondern Mozzarella und Schokolade?

    Hier können wir uns sowohl den unerschöpflichen Reichtum der mikrobiellen Vielfalt als auch den technischen Fortschritt zu Nutze machen. 

     

    Die Renaissance der Fermentation – Wie Mikroben die Welt schon wieder retten

    Die Umsetzung eines Substrats (Ausgangsstoff) wie Zucker in ein Produkt wie Ethanol (z.B. beim Bierbrauen) durch Mikroben wird, wie weiter oben beschrieben, Fermentation genannt. Durch die erstaunlichen Fortschritte in der Mikrobiologie, der Gentechnik und Biotechnologie reicht der Anwendungsbereich der Fermentation inzwischen aber viel weiter als Wein und Joghurt. Diese waren „einfach nur“ das Ergebnis eines jahrzehnte-, oder vielmehr jahrhundertelangen Trial-and-Error-Prozesses. Tolle Produkte sind dabei entstanden und man könnte, ähnlich wie beim Thema präzisere Pflanzenzüchtung, sagen: hat doch auch bisher gut geklappt, wozu brauchen wir etwas neues?2Wenn euch das Thema Pflanzenzüchtung mit CRISPR etc. näher interessiert, schaut doch auf Progressive Agrarwende vorbei, da hat u.a. Robert Hoffie einiges geschrieben https://progressive-agrarwende.org/de-novo-domestikation/

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