Erschienen inGastbeitrag
7. September 2022

Eine Umweltaktivistin macht Mittag

Dieser Artikel ist im Original in englischer Sprache auf Works in Progress erschienen. Deutsche Übersetzung von Johannes Kopton, mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Publishers.

Viele Plakate zum Thema Umwelt sind mit meinen Diagrammen zugepflastert, aber ich werde nie ein Postergirl für Umweltschutz sein.

Wenn man mir beim Essen machen zusieht, wirkt das wie eine ökologische Katastrophe. Ich benutze fast ausschließlich die Mikrowelle. Ich nehme mir keine Zeit, den Prozess zu genießen: Eine Mahlzeit, die länger als zehn Minuten dauert, ist es nicht wert, gegessen zu werden. Es kommt fast immer aus einer Verpackung. Meine Avocados kommen aus Mexiko und meine Bananen aus Angola. Es kommt selten vor, dass mein Essen vor Ort produziert wird. Und wenn doch, schaue ich nicht oft genug auf das Etikett, um es zu bemerken.

Das ist das Gegenteil von dem, was nachhaltig zu sein scheint. Das Bild, das wir von einer „umweltfreundlichen Mahlzeit“ im Kopf haben, ist eines, das vom örtlichen Markt stammt, auf einem Biohof ohne böse Chemikalien produziert wurde und in einer Papiertüte und nicht in einer Plastikverpackung nach Hause gebracht wird. Vergiss den verarbeiteten Müll, iss Fleisch und Gemüse, so frisch wie es nur geht. Wir nehmen uns die Zeit, sie richtig zuzubereiten, im Ofen.

Ich weiß, dass meine Art zu essen emissionsarm ist. Ich habe mich jahrelang mit den Daten befasst. Mikrowellen sind die effizienteste Art zu kochen. Lebensmittel aus der Region sind oft nicht besser als Lebensmittel, die von weit entfernten Kontinenten geliefert werden. Bio-Lebensmittel haben oft einen größeren CO2-Fußabdruck. Und die Verpackung macht nur einen winzigen Teil des ökologischen Fußabdrucks eines Lebensmittels aus und verlängert oft seine Haltbarkeit.

Und doch fühlt es sich falsch an. Ich weiß, dass ich das Richtige für die Umwelt tue, aber ein Teil von mir fühlt sich trotzdem wie eine Verräterin. Ich kann die Verwirrung in den Gesichtern der Menschen sehen, wenn sie von einigen meiner Entscheidungen erfahren. Es ist mir peinlich, dass die Leute denken könnten, ich sei eine „schlechte“ Umweltaktivistin.

Dieses Problem kommt daher, dass das, was „gut“ für die Umwelt ist, oft nicht mit unseren Intuitionen übereinstimmt. Fragt man die Menschen, welche Verhaltensweisen am effektivsten sind, um ihren CO2-Fußabdruck zu verringern, so nennen sie Recycling, den Austausch alter Glühbirnen und den Verzehr regionaler Produkte. Dabei übersehen sie oft die Dinge, die wirklich helfen. Umfragen haben diese Diskrepanz immer wieder gezeigt.

Sogar beim Fleischverzehr, den manche für eine unserer natürlichsten und intuitivsten Verhaltensweisen halten, ist unser Radar ausgeschaltet. Grasgefüttertes Rindfleisch scheint die umweltfreundliche Option zu sein. Hormonfreie Hühner auch. Doch die Intensivtierhaltung in Mastbetrieben verursacht oft geringere Umweltkosten, obwohl der Preis dafür höher ist, wenn es um das Tierwohl geht.

Diese Fehltritte hören nicht bei Lebensmitteln auf. Eine Plastiktüte scheint viel schlimmer zu sein als eine Papiertüte. Tatsächlich ist es genau andersherum.

Ein Holzofen scheint umweltfreundlicher zu sein als eine Gasheizung. Viele bevorzugen Kohlestrom gegenüber als Kernenergie, obwohl letztere viel weniger CO2 ausstößt und tausendmal sicherer ist. Auf dem Land zu leben scheint viel besser zu sein als in einer Stadt. Es gibt nur wenige Orte, an denen ich mich weniger „grün“ fühle, als wenn ich gegen die Tür der Londoner U-Bahn gequetscht bin. Am Wochenende in ein Ferienhaus in den Bergen zu fahren, scheint unendlich viel nachhaltiger zu sein. Aber das ist es nicht: Dichte Städte sind gut fürs Klima – wir können Skaleneffekte nutzen, um die Emissionen aus dem Verkehr und Dienstleistungen zu reduzieren, und wenn wir Glück haben, können wir sogar die Heizungsenergie mit unseren Nachbarn teilen.

Warum machen wir das dann so oft falsch? Wahrscheinlich liegt es an der „natural fallacy“ („natürliche Täuschung“): Dinge, die eher auf „natürlichen“ Eigenschaften beruhen, erscheinen uns besser. Oder unser „appeal to nature“, bei dem natürlich gleich gut und unnatürlich gleich schlecht ist. Wir sind skeptisch gegenüber synthetischen Produkten, die aus einer Fabrik kommen.

Es ist verlockend, sich über diese Denkweise lustig zu machen. Wir können sie als „unwissenschaftlich“ bezeichnen, weil sie in vielerlei Hinsicht unwissenschaftlich ist. Ich muss nicht die unzähligen Beispiele von Pflanzen, Viren und chemischen Verbindungen aufzählen, die „natürlich“, aber tödlich sind.

Aber Spott war noch nie ein wirksames Mittel, um Veränderungen zu bewirken. Und vielleicht vermeide ich diese einfache Reaktion auch deshalb, weil ich diese Gefühle selbst noch nicht ganz losgeworden bin. Ich habe immer noch den instinktiven Drang nach „natürlichen“ Lösungen, die mehr mit unseren Wurzeln verbunden zu sein scheinen. Dagegen anzugehen, erfordert wiederholte und manchmal unbequeme Anstrengungen.

Aber es ist etwas, das wir überwinden müssen. Die Tatsache, dass unsere Intuitionen so „daneben“ sind, ist wirklich ein Problem. In einer Zeit, in der die Welt weniger Fleisch essen muss, werden Fleischersatzprodukte abgelehnt, weil sie „verarbeitet“ sind. In einer Zeit, in der wir weniger Land für die Landwirtschaft verbrauchen sollten, gibt es in letzter Zeit ein Wiederaufleben der ökologischen, aber landhungrigen Landwirtschaft. Wenn immer mehr von uns in dichten Städten leben müssen, träumen immer mehr Menschen von einem romantischen Leben auf dem Lande mit einem Garten zur Selbstversorgung.

Ich schreibe gerade ein Buch über die Chance, die wir haben, die erste Generation zu sein, die die Umwelt in einem besseren Zustand hinterlässt, als wir sie vorgefunden haben. Ich möchte dabei die Verhaltensweisen aufzeigen, die uns vorwärts und nicht rückwärts bringen. Das ist eine große Aufgabe: Ich muss Menschen von einer Vision überzeugen, die ihnen intuitiv falsch erscheint. Es ist schwer, Jahrtausende der sozialen Programmierung rückgängig zu machen.

Neugierige und aufgeschlossene Menschen freuen sich oft über eine überraschende Erkenntnis. Andere sind schwieriger zu knacken, vor allem, wenn ihre Identität schon an bestimmte Verhaltensweisen gebunden ist. Ich kann versuchen, sie mit harten Fakten und Zahlen zu überzeugen, aber das allein wird wahrscheinlich nicht ausreichen. Unsere Verhaltensweisen basieren selten auf reiner Rationalität. Es kommt darauf an, wie wir uns dabei fühlen.

Ein Teil der Motivation für ein nachhaltigeres Leben ist das Gefühl, seinen Beitrag zu leisten. Wenn das, was wir tun „müssen“, im Widerspruch zu dem steht, was sich richtig anfühlt, dann ist das ein Problem. Das bedeutet, dass sich das gesellschaftliche Bild von Nachhaltigkeit ändern muss. Fleisch aus dem Labor, dichte Städte und Atomenergie brauchen ein neues Image. Sie müssen zu den neuen Symbolen für einen nachhaltigen Weg in die Zukunft werden.

Erst dann – wenn das Image „umweltfreundlicher“ Verhaltensweisen mit den tatsächlichen übereinstimmt – wird es sich nicht mehr so schlecht anfühlen, ein*e gut*e Umweltschützer*in zu sein.

 

© Titelbild: Gentri Shopp via Unsplash

Hannah Ritchie
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